Das Wesen des Mentorings
3.1 Die Herkunft
Der heutige Begriff „Mentoring“ hat seinen Ursprung in der griechischen Mythologie. In Homers Epos „Odyssee“ ist ‚Mentor‘ der Name des Erziehers und weisen Ratgebers für Odysseus‘ Sohn Telemachus. Odysseus wählte Mentor wegen seiner Weisheit, Kenntnis und Erfahrung. Das Ergebnis der Erziehung durch Mentor war ein selbstbewusster junger Mann, der schließlich fähig war, seinen Vater zu unterstützen.
Der Name ‚Mentor‘ wurde in der Neuzeit zur Bezeichnung für eine Person, die mit ihrer Weisheit, Kenntnis und Erfahrung eine andere Person (Mentee) begleitet, die jünger bzw. weniger erfahren ist. Die Beziehung zwischen den beiden bezeichnet man als „Mentoring“.
3.2 Das Wesen des Mentoring
Im Mentoring verbirgt sich ein großer und unbezahlbarer Schatz, weil es sich inhaltlich nicht einfach nur um die Weitergabe gesammelter Lebenserfahrungen handelt, sondern weil es sowohl dem Mentee als auch dem Mentor eine Fülle an neuen und ganz persönlichen Lebenserfahrungen und Einsichten ermöglicht. Jeske beschreibt es treffend:
„Man kann Mentoring eigentlich besser beschreiben als definieren. Es ist mehr Kunst als Wissenschaft. Im Kern ist Mentoring eine Beziehung, in der der Mentor jemandem, der Mentorenschaft in Anspruch nehmen möchte, dabei hilft, sein Potenzial voll auszuschöpfen.“3
Das Ausschöpfen von gegebenem Potenzial (Ressourcen), sowohl beim Mentor, als auch beim Mentee, ist das, was im eigentlichen Sinne den Kern der Mentoring-Beziehung ausmacht. Deshalb spricht man beim Mentoring von „Ressourcenorientierung“. Kennzeichnend ist dabei die Rolle des Mentors als „Ermöglicher“ und nicht als Vormund des Mentors.
3.3 Werte
Folgende Werte sind für eine Mentoring-Beziehung unerlässlich:
- Vertrauen: Der Kernwert einer Mentoring-Beziehung ist Vertrauen und Verschwiegenheit.
- Annahme: Jeder wird in seiner Unterschiedlichkeit in gleicher Weise angenommen und mit Liebe und Geduld behandelt, sowohl als Mentor als auch als Mentee.
- Respekt: Eine Beziehung lebt von Toleranz und Respekt gegenüber dem anderen, seiner Meinung, seiner Herkunft und Biographie. Dies ist sowohl für den Mentor als auch für den Mentee von besonderer Wichtigkeit.
- Wertschätzung: Die Mentoring-Beziehung ist geprägt von gegenseitiger Wertschätzung. Da der Mentor sich ehrenamtlich engagiert, gilt ihm die Wertschätzung in besonderer Weise.
- Offenheit: Jeder Mentee und Mentor hat die Offenheit, selber zu entscheiden was er preisgibt oder für sich behält.
3.4 Bedingungen
Folgende Bedingungen sind unerlässlich, damit Mentoring gelingt:
- Persönlicher Kontakt: Organisatorisches kann über Medien wie Telefon oder E-Mail laufen, aber ein regelmäßiger persönlicher Kontakt ist von großem Vorteil.
- Freiwilligkeit: Mentee und Mentor entscheiden sich freiwillig für die jeweilige Mentoring-Beziehung.
- Rollentrennung: Die Mentoring-Beziehung soll frei von Abhängigkeiten und Rollenvermischungen sein. Dafür bedarf es klarer Kommunikation und Definition von Rollenverhältnissen, insbesondere dann, wenn der Mentor schon zuvor in einem bestimmten Rollenverhältnis zum Mentee gestanden hat oder immer noch steht.
- Nähe und Distanz: Wie in jeder Beziehung ist bei aller Nähe eine gewisse Distanz wichtig. Das Ziel einer Mentoring-Beziehung ist es nicht eine Co- Abhängigkeit zu generieren, sondern die Eigenverantwortung des Mentees zu fördern. Dies wird durch die Balance zwischen Nähe schaffender Empathie und gesundem emotionalen Abstand ermöglicht.
- Kommunikations- und Kritikfähigkeit: Eine fruchtbringende Mentoring- Beziehung kann nur durch eine klare Kommunikation erreicht werden. Es ist somit auf beiden Seiten notwendig, dass Vereinbarungen getroffen, Erwartungen und Wünsche kommuniziert und Unzufriedenheiten mutig angesprochen werden. Dabei kommt es nicht nur auf die Kommunikations-, sondern auch auf die Kritikfähigkeit an. Es ist eine Kunst, Kritik in Liebe und Geduld zu üben und ebenso auch anzunehmen.
- Definierter Zeitraum: Der vorgegebene definierte Zeitraum für die Mentoring- Beziehung verlangt gezielte Schwerpunktsetzung, ermöglicht dadurch zufriedenstellende und qualitative Entwicklungen des Mentorings und verhindert eine Überlastung der Mentoren.
- Verbindlichkeit: Mentoring ist auf zuverlässige Absprachen und verbindliche Vereinbarungen angewiesen. Dazu dient die „Mentoring-Vereinbarung“ (siehe Vorlagen).
- Vertraulichkeit: Alle Beteiligten verpflichten sich Informationen und Daten, die im Rahmen der Mentoring-Beziehung ausgetauscht werden, vertraulich zu behandeln.
Wegen der besseren Leseweise wird jeweils die weibliche Bezeichnung weggelassen, obwohl sie mit impliziert ist.
3 Phillip T. Jeske (2004), Mentoring durch gezielte Beziehungen. Ein beziehungsorientiertes Modell für persönliche Weiterentwicklung, Berlin. S. 22.
